Tod eines Kritikers by Walser Martin

Tod eines Kritikers by Walser Martin

Autor:Walser, Martin [Martin, Walser]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp
veröffentlicht: 2013-09-25T04:00:00+00:00


8

Das eng am Kopf bleibende Rotgraugemisch, Hans Lachs Haare. Das Rötliche und Graue mischen sich so ganz und gar, daß eine neue Farbe entsteht, weder rot noch grau, aber ein Glanz aus beidem. Hans Lachs Haare glänzen. Schon bei kleinster Lichtzufuhr glänzen sie. Fast, als glänzten sie von selbst. In der Mitte beginnen diese Haare etwas früher als links und rechts. So entsteht eine Art Kappe. Aber vielleicht sollte man, was er auf dem Kopf hat, überhaupt Fell nennen. Auf Photographien sieht Lach immer erstarrt aus. Als habe er bis zum Augenblick des Photographiertwerdens noch gelebt, aber beim Photographiertwerden selbst nicht mehr. Die Kinderaugen wirken bis zur Blödheit erstarrt. Die hervorragende Nase kommt noch am besten weg. Der Trotzmund hat offenbar vor der Photographiersekunde noch etwas gesagt, was ihm nicht geglaubt wird. Das Kinn ist selbst unter dieser Nase zu groß. Alles zusammen ergibt eine Brutalplastik einer asiatisch-afrikanischen Naivkunst. Und anrief der KHK. Ob ich die Zeitung gelesen habe. Welche. Die BILD-Zeitung. Noch nicht, sagte ich, um nicht hochmütig zu wirken. Ein Handy-Interview mit Cosi von Syrgenstein. Damit heiße es Eins zu Null für die BILD-Zeitung. Er habe diese Cosi natürlich auch gesucht, und nicht gefunden. Aber vielleicht hat die eben doch die BILD-Zeitung angerufen, um sich in Szene zu setzen, und die Zeitung tut dann so, als sei ihr etwas gelungen, was der Polizei nicht gelungen sei. Die übliche Nummer. Auf jeden Fall, die Gefährtin der letzten Stunde liegt im Sand von Fuerteventura, oben und unten ohne, das sagt sie, kein Photo von dort, es geht ihr nicht gut, André war ein Schatz, verstehen Sie, tesoro y querido, sie schreibt und schreibt, ja Eingespeichelt, was denn sonst, von André hat sie sich noch im Hof der PILGRIM-Villa verabschiedet, sie mußte ja früh raus, André war wie immer, geistreich und zärtlich und ein bißchen geschwätzig, das heißt, wenn sie nicht auf Abschied gedrängt hätte, stünden sie wahrscheinlich immer noch dort. Ach wär’ es doch so. Daß er nicht mehr leben soll, ist ihr unfaßbar. Solange Ehrl-König nicht tot aufgefunden werde, weigere sie sich, ihn für tot zu halten. Daß Hans Lach verdächtigt werde, tue ihr weh. Daß der kein Alibi habe, sei tragisch. Hans Lachs Drohungen halte sie für nichts als laute Wehleidigkeit eines zu kurz Gekommenen. Für weitere Auskünfte stehe sie jeder Zeit zur Verfügung. Wenn sie nicht gerade im Wasser sei. Also zwei Stunden täglich nicht. Was ich dazu sage? Ich sagte, daß ich mir die Zeitung beschaffen und den Text analysieren werde. Er erbat sich, falls ich auf etwas komme, benachrichtigt zu werden. Einer von uns zweien kommt immer voran, sagte er. Und damit auch der andere, sagte ich. Wenn ich die Unschuld beweise, sind Sie genau so am Ziel wie ich. Und wenn ich die Schuld beweise, Sie auch, sagte er. Ich hatte mich an diesem Tag bei Frau Lach angemeldet. Ich wollte nur die von Ehrl-König gewidmeten Exemplare sehen. Zu Fuß vor in die Böcklinstraße. Es war etwas wärmer geworden, der festgetretene Schnee weichte auf.



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